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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Die bittere Realität Dann ist Deutschland keine Topnation mehr

Deutschland scheidet im Halbfinale der Nations League verdient aus. Die Gründe dafür waren spätestens im zweiten Durchgang klar zu erkennen.
Aus München berichtet Benjamin Zurmühl
Nach dem obligatorischen Gang in die Fankurve ging es für die deutsche Mannschaft schnurstracks in die Kabine. Besonders laut wurde es dort nach dem 1:2 gegen Portugal in München dem Vernehmen nach nicht, klar und deutlich hingegen schon. Kapitän Joshua Kimmich ergriff das Wort. Er machte seinen Teamkollegen klar: Wenn wir nicht alle an unser Limit gehen, sind wir keine Topnation.
Eine unmissverständliche Botschaft, die auch Bundestrainer Julian Nagelsmann rund eine halbe Stunde später auf der Pressekonferenz unterstrich. "Der Schlüssel ist, dass wir 100 Prozent geben müssen. Dann können wir mit Topnationen mithalten. Dann sind wir in Teilen sogar besser, weil wir schon etwas Besonderes haben." Doch von diesen 100 Prozent war die deutsche Fußball-Nationalmannschaft im Halbfinale der Nations League weit entfernt.
Phasenweise zeigte die DFB-Elf ein gutes Spiel. Rund um die 20. Minute beispielsweise, als Leon Goretzka und Nick Woltemade Portugals Torwart Diogo Costa herausforderten. Oder kurz nach dem Wiederanpfiff, als Florian Wirtz mit einem cleveren Ballgewinn seinen eigenen Treffer einleitete. Doch das waren kurze Episoden der 90 Minuten in München. Der Großteil war ernüchternd. Zu statisch, zu unsicher, zu fehleranfällig war die Leistung der Nationalelf.
Ohne die nötige Aktivität und Galligkeit hat das riskante und offensive Spielsystem Probleme. "Dann kann dich auch jede Drittliga-Mannschaft auseinander spielen", brachte Nagelsmann es auf den Punkt. Die fehlende Energie bemängelten auch einige Spieler. Niclas Füllkrug und Joshua Kimmich zum Beispiel. Letzterer war mit der Leistung des Teams überhaupt nicht zufrieden. "Das war in der ersten Hälfte zu wenig, sowohl mit dem Ball als auch gegen den Ball", kritisierte er im ZDF. Sein Fazit zur zweiten Hälfte fiel noch schlechter aus: "Nach dem 1:0 war das gar nichts mehr." Der Sieg der Portugiesen sei verdient, sagte der DFB-Kapitän. "Man muss so ehrlich sein und sagen, dass es eins unserer schlechtesten Spiele war."
Eher 0:3 als 1:2
An diesem Mittwochabend in München wurde nicht nur deutlich, dass nicht alle der 16 eingesetzten Nationalspieler 100 Prozent gegeben haben. Es wurde auch klar, dass die deutsche Mannschaft in der Breite ein Qualitätsproblem hat. Der erste Anzug ist gut, der kann mit der Weltspitze mithalten, wie es auch im EM-Viertelfinale gegen Spanien zu sehen war. Vom zweiten Anzug kann man das nicht behaupten. Das Fehlen von Schlüsselspielern kann die DFB-Auswahl selten kompensieren.
Die Ausfälle von Antonio Rüdiger und Nico Schlotterbeck in der Abwehr waren spürbar. Auch die Ballsicherheit eines Angelo Stiller im zentralen Mittelfeld hätte die Mannschaft gut gebrauchen können. Und natürlich auch die kreativen Elemente von Jamal Musiala und Kai Havertz, die unter Julian Nagelsmann mit Florian Wirtz perfekt harmonieren. Doch genau das fehlte der deutschen Offensive gegen Portugal: Kombinationen auf engem Raum, die jede Abwehrkette ins Straucheln bringen. Dribblings, die das Publikum begeistern. Einzelaktionen, die den Unterschied machen.
Portugal konnte genau diese Szenen bieten. Eine Einzelaktion durch Francisco Conceição führte zum Ausgleich, eine Kombination von Bruno Fernandes und Nuno Mendes leiteten das 2:1 ein. Und in der Nachspielzeit tanzte Vitinha an der Eckfahne Robin Gosens aus und verschaffte seiner Mannschaft wichtige Zeit. Das Besondere: Conceição und Vitinha brachte Trainer Roberto Martínez erst in der 58. Minute, sie hatten es nicht in die Startelf geschafft. Die deutschen Einwechselspieler konnten einen solchen Effekt nicht einmal im Ansatz kreieren. Ein deutlicher Unterschied in der Kaderbreite, der offensichtlich wurde.
Statt beim Stand von 1:2 noch einmal mit einer Schlussoffensive Druck zu entfachen, blieb die DFB-Elf ungefährlich. Julian Nagelsmann müsste eher den Eindruck gehabt haben, dass es 0:3 stand.
Deutschland wird nicht zu Spanien
Für die Weltmeisterträume des Bundestrainers war die Niederlage gegen Portugal ein Dämpfer. Er hatte sich das Ziel gesetzt, sich an Spanien ein Vorbild zu nehmen: Die Nations League gewinnen, den Titel ausgiebig feiern und als Grundstein für das große Turnier im Folgejahr nutzen. Doch im Gegensatz zu Spanien, das 2023 die Nations League und 2024 die Europameisterschaft als Sieger beendete, schließt Deutschland die "Mini-EM" nun bestenfalls als Dritter ab. Die Entscheidung darüber fällt am Sonntag.
Für die WM in einem Jahr kann die Niederlage gegen Portugal dennoch wichtig sein, wenn die deutsche Mannschaft die richtigen Lehren daraus zieht. Um Julian Nagelsmann zu paraphrasieren: 100 Prozent muss sie jedes Mal geben, sonst reicht es gegen die Topnationen nicht. Und davon gibt es bei einer Weltmeisterschaft jede Menge.
- Eigene Beobachtungen von vor Ort